Abschaltung
der Rede- und Meinungsfreiheit dank Abmahnung und Einstweiliger
Verfügung. |
2001 fiel
ich auf einen Adressbuchbetrug herein.
Adressbuchbetrug geht so: Gewerbetreibenden wird ein Formular
zugesandt, welches Adressdaten bereits enthält und überprüft
werden soll. Es geht um die Eintragung von Adressdaten in
einem Branchenbuch. Irgendwo im Kleingedruckten gut versteckt
steht dann ein exorbitanter Preis, und daß man bei
Rücksendung
einen Vertrag abschließt.
Nachdme ich darauf hereingefallen bin, habe ich dann eine
Informationsseite ins Internet gestellt. Ich habe die Methoden
und Machenschaften, mit denen die Adressbuchbetrüger
ihr Geld verdienen, beschrieben. Es wurden Tips zur Gegenwehr
gegeben. Ross und Reiter wurden genannt.
Es dauerte nicht lange, und die Info Seite wurde von den betroffenen
Firmen und ihren Geschäftspartnern auf Unterlassung verklagt.
Bis 2005 sammelten sich ca 20 Verfahren - die quer durch ganz
Deutschland angestrengt wurden - ein Verfahren gar in der Schweiz.
Denn Internetveröffentlichungen können überall
gerichtlich angegriffen werden - überall, wo sie zu empfangen
sind.
|
Ich
habe fast alle dieser Prozesse gewonnen.
Fast alle.
Ein einziger teurer Prozess, der mit Kostenaufhebung endet,
reicht jedoch für einen kleinen Journalisten, um seinem
Recht auf freie Meinungsäußerung per Kostenfestsetzung
das Genick zu brechen.
Auf lange Sicht kann ein Einzelner sein Grundrecht (ein grundsätzliches
Menschenrecht) nur verteidigen, wenn er bereit ist, seine Existenz
aufs Spiel zu setzen. Kritische Berichterstattung ist in Deutschland
existenzgefährdend.
Hier die Gründe, warum eine freie Meinungsäußerung
in einem demokratischen Deutschland nur einer kleinen Zahl
von Menschen vergönnt ist - jenen,
die dafür bezahlen können.
Und wenn einer bereit ist, Geld hinzublättern dafür,
daß jemandem ein Maulkorb umgehängt wird, dann schafft
er das fast spielend. Es ist nur eine Frage der Zeit
und des Geldes.
Und das geht so: |
1.
Die Abmahnung:
Zuerst
gibt es eine (mit kräftigen Kosten gesalzene)
Abmahnung --- Gründe gibts immer, wir haben genug
Gesetze - z.B. wegen Beleidigung oder Eingriff in den
eingerichteten Gewerbebetrieb oder Boykottaufruf oder
was auch immer. Wenn auch die meisten Abmahnungen nicht
zu Einstweiligen Verfügungen führen, so stellen
sie doch einen gewaltigen Psychoterror dar - bei einem
Streitwert von 100.000 Euro oder mehr kann niemand
kalt bleiben. Die meisten, die
freimütig im Internet ihre Meinung sagen, gehen
verständlicherweise schon in diesem Stadium in
die Knie. |
2.
Die Einstweilige Verfügung
Mit
Abmahnung:
Von ca 50 Abmahnungen führten in meinem Fall etwa
10 zu einer Einstweiligen Verfügung. Wie gesagt: Streitwert
ab 100.000 Euro aufwärts. Schon bei einem Streitwert
von 20.000 Euro kostet eine Einstweilige Verfügung
- wenn sie in erster Instanz bestätigt wird - etwa
6.000,00 Euro Anwalts und Gerichtskosten.
Einstweilige Verfügung ohne Abmahnung
Auch ohne Abmahnung kann das Gericht eine Einstweilige
Verfügung erlassen. Die kann der Gegner erst mal in
seiner Schublade verstauen und jetzt erst mal mit einer
Abmahnung kommen. Die ist natürlich oft viel umfangreicher,
als das, was das Gericht in einer Einstweiligen Verfügung
zugelassen hat. Jetzt kann der Abmahn Anwalt hübsch
abwarten, mit welchem Vorgehen er die besten Resultate
erzielt.
Die
Vorverurteilung
Eine Einstweilige Verfügung wird gewöhnlich
erlassen, ohne daß dem Betroffenen vorher Gelegenheit
gegeben wurde, sich zu verteidigen. Mit anderen Worten
- hier findet eine Vor-Verurteilung statt. Es hat bisher
lediglich den Vortrag der einen - klagenden - Seite gegeben,
ohne daß der anderen Partei ein Recht zur Selbstverteidigung
eingeräumt wurde.
Die Strafe
bei einer Einstweiligen Verfügung wird sofort vollstreckt
- die Bestrafung - das sind die Kosten, die dem Betroffenen
auferlegt werden. Durch den Streitwert Antrag - der ja
ebenfalls nur von der einer klagenden Seite her kommt
- können diese Kosten in beliebige Höhe gejubelt
werden. Nochmal:
Ohne daß sich der Betroffene dazu äußern
konnte.
Die Kosten
einer EV fallen nicht erst an, wenn das Gericht entschieden
hat, ob sie zu Recht oder Unrecht erlassen wurde - sondern
direkt nach dem Erlass der Einstweiligen Verfügung.
Zunächst hat der Antragsteller ja die Kosten vorgestreckt
- das Gericht hat dem Antrag auf Erlass einer EV stattgegeben
- und der Beschuldigte muß also zahlen. Zusammen
mit der Einstweiligen Verfügung wird vom Gericht
eine Kostenfestsetzung verfügt - das heißt,
ab jetzt kann der Gerichtsvollzieher ohne weitere Zwischenschritte
die Gerichtsgebühren und Anwaltskosten kassieren.
Wer von der Hand in den Mund lebt kann jetzt
schon mal seinen Offenbarungseid vorbereiten
und wird in Zukunft - wie der Mann mit der Eisernen
Maske - einen Maulkorb tragen müssen.
Kleine Chance
Man kann sofort reagieren und Widerspruch einlegen.
Gleichzeitig kann man Vollstreckungsschutz bis
zum Ende des Verfahrens beantragen Wenn man Glück
hat, kommt der Vollstreckungsschutz vor dem Gerichtsvollzieher.
Gegenwehr
Ich konnte es mir glücklicherweise immer
leisten, Widerspruch einzulegen - aber dafür
muß man auch erst mal einen Anwalt finden,
aber wo findet man einen, der sich ausreichend
einsetzt ? Und auskennt ? Und der den hochbezahlten
Anwälten der Bertrüger Paroli bieten
kann ? Und natürlich Geld - der Anwalt will
gewöhnlich Vorkasse, klar, ich arbeite auch
nicht gern umsonst.
Gerechtigkeit nur für die Reichen
?
Wenn
ich nur als reicher Mann meine Grundrechte - meine
Menschenrechte - verteidigen kann, dann kann ich
das nur als eine ungerechte, undemokratsiche Gesellschaft
sehen.
Wo "Geld haben" = "Recht haben" heißt
- da sind die Menschenrechte nicht das Papier
Der Prozessverlauf
Bis eine Einstweilige
Verfügung "erledigt" ist hat man 4 -6
Prozesstermine zu durchstehen - jeder Termin mit einem
neuen Chance, verurteilt zu werden.
Zuerst das Einstweilige Verfügungsverfahren vor
dem Landgericht,
wenn Sieg, dann legt der Gegner Widerspruch ein, dann
also Oberlandesgericht,
wenn Sieg, dann startet der Gegner das Hauptsacheverfahren
(Landgericht) -
wenn Sieg dann legt der Gegner Widerspruch ein beim
Oberlandesgericht.
Und dann gibts eventuell auch noch als letzte Instanz
den BGH - das alles dauert 2 bis 4 Jahre - und erst
am Ende (wenn man gewonnen hat.) gibts einen Teil der
verauslagten Kosten zurück.
Aber natürlich nicht alles - viele Kosten sind
nicht einklagbar - dazu die aufgewendete Zeit,
die Frustration, die Ängste - der Gegner, den
das verlorene Geld nicht juckt, weil (wenn) er es von
den Steuern absetzen kann, hat auf jeden Fall gewonnen.
Ergebnis
der Einstweiligen Verfügungs Praxis:
Der Adressbuch
Betrüger zum Beispiel, der so
eine Prozessserie inszeniert, hat
zwar Geld verloren, kann sich aber
trotzdem ins Fäustchen lachen:
Bis zu vier Jahre (Beispiel Eye Net)
hat er seinem Kritiker schlaflose
Nächte bereitet - das Risiko,
daß irgendeine verbotswürdige
Kleinigkeit gefunden wird, ist groß (z.
B. reicht es für eine falsche
Tatsachenbehauptung u.U. aus, wenn
man schreibt: "Er ist im Impressum" -
statt "er war im Impressum")
- und schon ist man an den Gerichtskosten
beteiligt - Kosten, deren Höhe
der Kläger ja über den
Streitwert selber bestimmen kann
- und am Ende ist es dem Kläger
auf jeden Fall gelungen, den Betroffenen
(in diesem Fall mich) wirtschaftlich
schwer zu schädigen. |
3. Die ungleichen Waffen
Law
Hunting
Wer Geld hat, kann also lustig drauflos prozessieren
- es geht nicht darum, den Prozess zu gewinnen, sondern
den Gegner zu zermürben. In Amerika nent man dieses
Spiel "Law Hunting" - ein sehr passender Ausdruck
- Wie bei der Jagd auf den Hasen sind die Waffen ungleich
verteilt - der tapfere Jägersmann hat alle Vorteile
auf seiner Seite und wird am Ende - wie oben gezeigt
- siegen.
Die Internet Hasenjagd:
Es ist die Regel, daß Veröffentlichungen
im Internet gerichtlich an jedem beliebigen Ort verfolgt
werden können.
Da das Internet überall ist, ist auch der Tatort überall.
So wurde eine englische Seite, die über den Adressbuchbetrüger
ECG ( European Cityguide ) aufklärte (= www.stopecg.org)
unter dem Vorwand einer Verletzung des Markennamens (ECG
ist in Stopecg enthalten) in den USA verklagt.
Ich selber wurde von einer Düsseldorfer Firma in Dresden,
München, Köln usw verklagt.
Novachannel verklagte mich in Luzern / Schweiz ...) Dadurch
entstehen Reisekosten, Korrespondenzanwaltskosten usw.
ganz zu schweigen davon, daß es enorm schwer ist,
im Ausland einen (brauchbaren) Rechtsbeistand zu finden. |
Resumee
- Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung
ist nur ein leeres Versprechen.
Dem Urheber einer
Internet Meinungsäußerung
werden ungerechte Lasten bei seiner Rechteverteidigung
auferlegt.
Die Lasten sind ungerecht, weil sie
ungleich verteilt werden. Derjenige,
der einen Maulkorb verhängen will,
hat die besseren Karten.
Bei vollem Wissen dieser Zusammenhänge
wird wohl der Meinungsäußernde
lieber auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung
verzichten. Und das ist das Ende der
Demokratie. Nur noch aus der Anonymität
heraus oder hinter vorgehaltener Hand
wird man im Internet seine Meinung
sagen können. |
Trotz
eindeutiger Rechtslage zugunsten der Meinungsfreiheit
kann also das Grundrecht auf Ingformations- und Meinungsfreiheit
in der Rechtswirklichkeit ausgesprochen leicht
ausgeschaltet werden. |
Bericht: M. P.
|
|