Vertrocknete
Seelen
Vor Gericht streitet Alice
Schwarzer mit einem konservativen
"FAZ"‑Gastautor darüber,
wie viel Schlechtes sie über einen
Mann verbreiten darf. |
Bereits 1992 saß Flöttmann
in der RTL‑Krawall‑Talkshow "Der
heiße Stuhl", damals ging es unter anderem darum,
ob eine Frau wirklich "Nein" meint, wenn sie "Nein" sagt.
Es gab einen Zeugen, der Flöttmanns Methoden als Neurologe
und Psychotherapeut anzweifelte, es gab ehemalige Patientinnen,
die sich über seine Umgangsformen
beschwerten.
Anfang 2oo6 erschien schließlich der "Emma"Artikel "Wer
ist Dr. Flöttmann?" Er ging nicht sehr freundlich mit dem Mann
um. Flöttmann
wehrte sich mit einer einstweiligen Verfügung, seitdem
darf "Emma" eine Vielzahl von Behauptungen nicht
mehr verbreiten ‑ was Alice Schwarzer ziemlich ärgert.
Damit begann eine Auseinandersetzung, die jetzt vor dem Hamburger
Landgericht ihren vorläufigen Höhepunkt fand ‑ ein
Verfahren voller absurder Spitzfindigkeiten und doch exemplarisch
für die Schwierigkeiten des deutschen
Presserechts. Im Kein steht die Frage, wie gut die Belege sein müssen,
wenn man Schlechtes über jemanden schreibt. Was
ist Tatsachenbehauptung und belegbar, was ist Meinungsäußerung
und erlaubt, und was ist schlicht falsch, ganz oder in Teilen? "Emma" und
Flöttmann führen um diese Wahrheit einen erbitterten
Kleinstkrieg: Darf "Emma" den Eindruck erwecken,
Anfang der Neunziger habe es Demonstrationen von Frauengruppen
vor Flöttmanns Psychopraxis gegeben ‑ oder muss
es nicht vielmehr "Demonstration" heißen,
im Singular, weil das Erinnerungsvermögen der Zeuginnen
schwächelt und nur eine Demonstration belegbar ist?
Oder, anderes Beispiel: "Emma" schrieb, angeblich
solle "Dr. Flöttmann
Patientinnen auch schon mal aus der Praxis werfen, wenn sie das Auge des Arztes
mit einem Piercing oder ‑ als Mann ‑ mit schulterlangen Haaren beleidigen".
Diese Behauptung ließ Flöttmann untersagen, Schwarzer wollte gern
daran festhalten.
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Die Anwälte betrieben
nun feinste TextExegese: Was bedeutet eigentlich "aus
der Praxis werfen"? Jemanden mit Gewalt vor die Tür
schubsen? Des Raumes verweisen? Oder reicht schon die Weigerung,
jemanden mit einem Piercing zu behandeln?
Vor zwei Wochen präsentierte das Gericht einen Vergleichsvorschlag: Dass
ein Mann wegen seiner Frisur aus der Praxis geworfen wurde, ist demnach falsch
und darf von "Emma' nicht mehr behauptet werden, über die gepiercte
Frau dürfe "Emma" berichten.
Wieso eine Formulierung erlaubt bleibt, die andere aber untersagt wird, können
Laien kaum noch verstehen: Flöttmann habe von einer Patientin "weiblichere" Kleidung
verlangt, ist falsch und darf nicht verbreitet werden. Der wohl härtere
Vorwurf, nämlich dass Flöttmann schlüpfrige "Komplimente" machte,
laut Vergleichsvorschlag aber wohl.
Ebenfalls nicht mehr behaupten darf "Emma" demnach, Patientinnen müssten
sich "oben frei machen", um "Reflexe" zu testen ‑ jedenfalls
soweit der Eindruck entstehe, Flöttmann wolle nicht tatsächlich medizinisch
indizierte Reflexuntersuchungen vornehmen, sondern die barbusigen Patientinnen
betrachten. Wie man das formulieren soll, sagte das Gericht nicht.
Ob er den Vergleich akzeptiert, wollte Flöttmann vergangene Woche nicht
sagen, er verweist auf seinen Anwalt. Und Alice Schwarzer ärgert sich, dass
der Richter die Kosten des Verfahrens nicht 50:50 teilen will, sondern 6o:40 ‑ zu
Lasten von "Ernma". Für jeden, der sich nicht durch die Details
wühlt, sieht es nun so aus, als habe ,Emma" eine Schlacht im Geschlechterkampf
verloren
(Ansbert Kneip)
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Wenn man sie fachmännisch betrachtet,
sind Karrierefrauen schon ziemlich merkwürdige Wesen. Frauen,
die lernen, studieren, promovieren, die den
Gedanken an Kinder verdrängen, müssen sich, so lehrt
der Experte, später den "Kinderwunsch mühsam erarbeiten,
weil sie ihren Verstandesapparat überentwickelt haben".
Klingt nach aktuellem Eva‑Herman-Schwachsinn, ist aber schon zwei Jahre
alt und stammt von einem Mann: Dr. Holger Betrand Flöttmann, Facharzt für
Neurologie und Psychiatrie, Leiter des WilhelmGriesinger‑Instituts in Kiel,
Gastautor bei der "Frankfurter Allgemeinen". Ein, das darf man wohl
sagen, umstrittener Mann mit umstrittenen Thesen.
Im Sommer 2005 verfasste Flöttmann einen FAZ"‑Artikel mit der Überschrift "Der
Wunsch nach einem Kind", es ging ihm um die wahren Gründe für
die Kinderarmut in Deutschland. Er fand die überentwickelten Verstandesapparate
von Karrierefrauen ("Der Leistungswille der Frau lässt die Freude an
Kindern in ihrer Seele vertrocknen"), er stieß auf "feministische
Fehlsteuerung", beklagte die "Selbstabwertung" des deutschen Nationalgefühls
("beeinträchtigt die Fruchtbarkeit der Deutschen") und schimpfte
auf "die Sozialversteher, die antiautoritären Achtundsechziger, die
Grünen, die Feministen".
Das war selbst vielen FAZ"‑Lesern zu dicke, es hagelte Leserbriefe.
Und in Köln, im Kreise der "Emma"Redaktion, stellte Herausgeberin
Alice Schwarzer, Urmutter der deutschen Feministinnen, die journalistisch sinnvolle
Frage: "Wer ist eigentlich dieser Flöttmann?" Sie schickte einen
Reporter nach Kiel. Informationen waren leicht zu finden, Flöttmann hatte
sein Frauenbild schon vor dem "FAZ"‑Artikel öffentlich verbreitet: |